Überwachung: Wie Amazon mit seiner Ring-Kamera ein Geschäft mit der Angst macht

In einer Modell-Partnerschaft stellt der Amazon seine Smart-Kamera "Ring" Opfern häuslicher Gewalt zur Verfügung. Ist ihnen damit tatsächlich geholfen?

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(Bild: Illustration: Joan Wong)

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Lesezeit: 24 Min.
Von
  • Eileen Guo
Inhaltsverzeichnis

Anfang Mai 2020, einige Stunden vor Sonnenaufgang, verhafteten vier Polizeibeamte einen Mann, der in das Haus von Gemma Smith in Cape Coral, im Südwesten Floridas, eingebrochen war (Name von der Redaktion geändert). Das Haus war den Polizisten bereits bekannt: Es war das zweite Mal innerhalb von sechs Monaten, dass sie zu Gemma Smith gerufen wurden. Der Einbrecher war Smiths Ex-Freund. Nach einer 15-jährigen On-Off-Beziehung, in der er sie körperlich und seelisch misshandelt hatte, verband sie mit ihm noch ihre gemeinsame kleine Tochter.


Ab Februar will Amazon das Kamera-System mit der Software Ring auch auf die Nutzung in Autos ausweiten. Die vernetzte Dashcam soll, wie Netzpolitik.org berichtet, das Geschehen innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs aufzeichnen. Auch soll das System sich einschalten, wenn das Auto gestartet wird oder wenn ein Einbruch erfolgt. Anlässlich dieser Neuerung veröffentlichen wir an dieser Stelle den Artikel "Amazons Geschäft mit der Angst" frei lesbar. Der Text stammt urspünglich aus MIT Technology Review 8/2021 (als pdf bestellbar).


Ihr Ex behauptete, er sei durch ein Fenster eingestiegen. Doch dank eines Programms zur Bekämpfung häuslicher Gewalt in der Stadt an der Südwestküste Floridas hatte Smith eine Amazon-Ring-Kamera an ihrer Türklingel. Das Video zeigte, wie sich der Verdächtige mit einem Schlüssel – von dem sie bis dahin nichts wusste – Zutritt zu ihrem Haus verschaffte. Da sie eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt hatte, beschlagnahmten die Polizisten den Schlüssel und nahmen den Ex fest. Smith schickte ihnen die Aufnahmen der Ring-Kamera, die sie nutzten, um Anklage wegen Einbruchs und Verstoßes gegen die einstweilige Verfügung zu erheben.

Als Ring vor acht Jahren mit einer Crowdfunding-Kampagne an den Start ging, war der Markt für Heimüberwachungssysteme und Videotürklingeln quasi nicht existent. Ring hat ihn erobert: Das Geschäftsanalytik-Unternehmen Strategy Analytics schätzt, dass Ring im Jahr 2020 weltweit 1,4 Millionen Geräte verkauft hat – so viel wie die größten vier Konkurrenten zusammen. Ring lockt viele Verbraucher mit dem Marketingargument, dass die Kameras die Kriminalität verringern können, indem sie Veranden, Einfahrten und – oft auch – Passanten im Auge behalten.

Nach einem ersten Pilotprojekt in einem gehobenen Viertel von Los Angeles im Jahr 2015 gab Ring an, dass die Präsenz der Kameras die Einbrüche in dem Viertel im Vergleich zum Vorjahr um 55 Prozent gesenkt habe. Ob das stimmt, ist fraglich, denn diese Zahl konnte in einer unabhängigen Analyse nicht nachvollzogen werden.

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Nachdem Amazon das Unternehmen 2018 übernahm, vergrößerte sich die Reichweite von Ring deutlich; nicht zuletzt auch aufgrund von engen Partnerschaften mit Strafverfolgungsbehörden. Amazon stellte kostenlose Geräte zur Verfügung – im Tausch gegen Werbung für die Kameras und die dazugehörige App "Neighbors by Ring". Bis Juni 2021 betrieb das Unternehmen außerdem ein spezielles Nachbarschaftsportal, über das die Polizei Zugang zu den Aufnahmen von Ring-Besitzern beantragen konnte.

Heute nutzen mehr als 1.800 Strafverfolgungsbehörden und 360 Feuerwehren in den USA die Neighbors-App. Das sei ein "viel breiteres Überwachungssystem, als die Polizei rechtlich gesehen selbst aufbauen könnte", schrieb der Vorsitzende des Unterausschusses für Wirtschafts- und Verbraucherpolitik des US-Repräsentantenhauses, Raja Krishnamoorthi, im Juni 2020 in einem Brief an Amazon.

Unscheinbar ist das kleinste Modell der Kamera-Klingel, das die Polizei in Kooperation mit Amazon Ring an Opfer häuslicher Gewalt verteilt hat.

(Bild: Ring LLC)

Das ist auch Bürgerrechtsgruppen aufgefallen, die Bedenken darüber äußern, dass die Kameras in Kombination mit der App zu rassistischen Profilen, übermäßiger Überwachung durch die Polizei und einem Verlust der Privatsphäre führen könnten – nicht nur für die Verbraucher, die die Kameras gekauft und sich für die Datenschutzrichtlinien von Ring entschieden haben, sondern auch für jeden Passanten, der von einer Kamera erfasst wird, ohne sich mit der Datenverarbeitung einverstanden erklärt zu haben.

Dass an der Haustür von Gemma Smith eine Ring-Kamera hängt, geht auf ein solches Programm in Cape Coral zwischen Amazon Ring und der Polizei zurück. Es startete 2019 und bot 100 Opfern häuslicher Gewalt kostenlose Videotürklingeln an. Die Kamera sollte ein "zusätzliches Hilfsmittel sein, damit Betroffene sich in ihrer Wohnung sicher fühlen und möglicherweise bei der Verfolgung ihrer Täter helfen können", steht in Dokumenten des Cape Coral Police Department.